OT: Next Year in Havanna, USA 2018, D 2019, Heyne Verlag
„Es ist gefährlich, für seine Überzeugung einzustehen“
Marisol, Journalistin aus Miami, Nachfahrin von Exil-Kubanern, fährt nach dem Tod ihrer Großmutter, die sie aufgezogen hat, nach Havanna, um mit eigenen Augen zu sehen, wovon ihre Großmutter Elisa immer erzählt hatte und ebenso, um ihr den letzten Wunsch zu erfüllen. Elisa hatte sich gewünscht, dass ihre Asche auf Kuba verstreut werde. Marisol, die ihr Leben lang von Kuba, seinen Schönheiten, seinen Menschen, der großen Vergangenheit ihrer Familie gehört hat, macht sich ein ziemlich romantisches Bild der Insel. So wie der Durchschnittstourist oft auch nur die landschaftliche Schönheit sieht, die ehemalige Größe und Schönheit von Havannas Bauten, die bunten Farben und die fantastischen 50er-Jahre-Wagen, so geht es im Grunde auch Marisol. Luiz, der Enkel der Jugendfreundin ihrer Großmutter, holt sie vom Flughafen ab. Schon bei dieser kurzen Begegnung fühlt Marisol sich zum ihm hingezogen. Das passt zu ihrer romantischen Grundstimmung.
Doch noch nicht lange in Havanna, stellt Marisol schnell fest, dass die Realität des heutigen Kuba, sogar nach dem Tod von Fidel Castro, ganz und gar nicht romantisch ist, sondern ein beständiger täglicher Kampf um die Existenzgrundlagen. Auch hat ihre Großmutter ihr nicht alles erzählt, sondern vor allem in der Geschichte über die Revolution, die zur Flucht der Familie in die USA geführt hatte, große Lücken gelassen hatte. Daneben gibt es noch eine andere Geschichte. Ihre Großmutter hatte sich in einen der Revolutionäre verliebt, eine unvorstellbare Affäre für ihre Familie. Fidel Castro und Che Guevara standen genau auf der Gegenseite der Familie Perez, die den Diktator Battista unterstützte. Für die 19jährige aus gutem Hause eine totale Katastrophe.
Mal wieder kein Krimi. Interessant wird das Buch unter anderem durch die wechselnde Erzählperspektive. Einmal aus Sicht der 19jährigen Elisa im Jahr 1958 geschrieben, und auf der anderen Seite die Sichtweise der heutigen Zeit durch die Augen von Marisol. Die Leserin leidet mit Elisa, die ungewollt und auch ziemlich unbedarft in die Mühlen der kubanischen Revolution gerät und dabei wegen ihrer Liebe zu Pablo zwischen alle Fronten rutscht und kommt mit Marisol gewaltig ins Grübeln über Kubas politische Geschichte und Gegenwart. Dass die eigentliche Handlung in beiden Erzählsträngen relativ vorhersehbar ist, tut der Brisanz des Themas keinen Abbruch. Man erfährt viel über Kuba, das Lebensgefühl, die Lebensfreude der Kubaner, aber auch über die Angst, die dort ständiger Begleiter ist. Die Autorin beschäftigt sich ebenso mit der Revolution und dem Wesen der Diktatur als solches, ohne dass es belehrend wird. Dennoch sind einige sehr kluge Gedanken darin. Ein lesenswertes Buch, wenn auch nicht der leichte Sommerroman, auf den das Cover hinzudeuten scheint.