Ein Fall für Anna Kronberg
D 2014, Verlag Kiepenheuer und Witsch
O-Titel: The Devil’s Grin
Endlich wieder ein Buch, das mir richtig gut gefällt. Dieser Krimi spielt in Merry Old England, zur Zeit von Sherlock Holmes, also am Ende des 19. Jahrhunderts. Ich habe schon einige gelesen, die in dieser Zeit spielen und habe sie – ehrlich gesagt – so ziemlich über. Anne Perry, die ebenfalls Krimis schreibt, die in dieser Zeit spielen, habe ich zunächst ganz gern gelesen, aber irgendwann hatte ich genug davon und in der folgenden Zeit einen Bogen um dieses Zeitalter gemacht (kann man das? einen Bogen um ein Zeitalter machen? Egal). Doch dieser Thriller ist klasse, denn er ist spannend und hat eine Hauptfigur, die einfach wunderbar ist. Nicht zu vergessen natürlich die zweite Hauptrolle: Sherlock Holmes.
Dr. Kronberg ist ein bekannter Arzt in London, der bedeutendste Epidemiologe und Seuchenforscher seiner Zeit. Als er zu einem Fall hinzugezogen wird, trifft er auf Sherlock Holmes. Dieser braucht nur einen Blick auf Dr. Kronberg zu werfen und hat dessen Geheimnis erkannt: Dr. Kronberg ist eine Frau. Außer Holmes hat das bisher niemand entdeckt. Freundlicherweise verrät er Dr. Kronberg nicht. Beide beschließen zusammen zu ermitteln. In der Nähe von Londons Trinkwasserversorgung wurde ein Toter aufgefunden, der alle Zeichen der Cholera aufweist. Doch da passt einiges nicht zusammen. Sherlock Holmes schließt messerscharf, dass es noch einen zweiten Mann am Tatort gegeben haben muss, den „Bigfoot“. Kurz darauf landet „Bigfoot“ sterbend im Hospital von Dr. Kronberg. Dies führt sie/ihn auf die Spur einer ungeheuren Verschwörung von wirklich sehr skrupellosen Männern.
Die Dialoge der beiden Hauptfiguren erinnerten mich ein bisschen an die neue Serie „Elementary“, in der ein moderner Sherlock Holmes eine weibliche Doktor Watson (Lucy Liu) an seiner Seite hat. Auch im „Teufelsgrinsen“ ist diese neue Konstellation sehr erfrischend. Dr. Kronberg ist übrigens kein Ersatz für Dr. Watson, denn dieser kommt ebenfalls vor. Was ich auch sehr spannend fand, ist es, wie man sich selbst dabei ertappt, in unbewussten Geschlechterrollen zu denken. Als Dr. Kronberg einfach selbstverständlich in eine Männerversammlung hingeht, dachte ich als erstes: das wird nichts. Die schmeißen sie raus oder nehmen sie nicht ernst oder quatschen nur den üblichen Blödsinn, denn man so von sich gibt, wenn eine Frau in eine Männerdomäne einbricht. (Das hört sich böse an, aber ich habe im Laufe der Zeit die eine oder andere diesbezügliche Erfahrung gemacht). Dann liest man weiter, folgt der Unterhaltung und denkt die ganze Zeit: „Wie geht das denn?“ Und dann fällt mir erst wieder ein, dass sie ja ein Mann ist und das Problem löste sich in nichts auf. Ich habe ein paar Tage über die verschiedenen Kommunikationsformen nachgedacht und in manchen Branchen hat sich anscheinend bis heute nicht viel geändert. Na gut, wir dürfen jetzt Medizin studieren. Aber noch vor zwanzig Jahren durfte ich während meines Studiums noch ein paar echt blöde Sprüche von Professoren anhören.
Die Autorin Annelie Wendeberg hat ihre Werke zunächst selbst veröffentlicht und zwar in den USA, auf Englisch. Erst später kam ihre Entdeckung in Deutschland. In ihrem Berufsleben ist sie Mikrobiologin in der Forschung, die in ihrer Freizeit Krimis schreibt. Und das macht sie gut. Ich freue mich schon auf den nächsten.