Louis Begley: Zeig dich, Mörder

Quelle: Parlando

Quelle: Parlando

Hörbuch

Buchausgabe Deutschland 2015
Verlag Parlando Edition Christian Brückner, 2015
gelesen von Christian Brückner (ungekürzte Lesung)
6 Audio-CDs

Das Hörbuch, um das es hier gehen soll, ist die vollständige Lesung eines
Buches von Louis Begley, eines US-amerikanischen Autors, mittlerweile 82 Jahre alt, der bis zu diesem Buch nicht als Autor von Kriminalromanen galt.
Sein erstes Buch, „Lügen in Zeiten des Krieges“, erschien im amerikanischen Original 1991, zu dem Zeitpunkt war der 1933 geborene Begley also schon 58 Jahre alt. Begley hatte lange Jahre als Anwalt gearbeitet, was man auch in etlichen seiner Bücher merkt. Viele Rezensenten haben Begley vorgeworfen, dass dieses Buch als Krimi nichts tauge, dass er es besser unterlassen hätte, sich an das Genre Kriminalroman heranzuwagen. Ich teile diese Auffassung nicht, mich hat dieser Krimi gut unterhalten, vor allem in der
Lesung des genialen Christian Brückner, der Vielen als Synchronstimme von
Robert de Niro bekannt ist, der sich aber längst auch als Vorleser vieler
Hörbücher einen Namen gemacht hat. Doch zunächst zur Handlung: Ein junger Mann namens Jack Dana ist der Protagonist dieses (Hör-)buchs. Er hat als Angehöriger der US-Marines in Afghanistan gekämpft und ist nach einer Verwundung aus dem Militärdienst ausgeschieden. Er beginnt eine Karriere als Schriftsteller und ist damit sehr erfolgreich. Er schreibt über seine Erfahrungen als Soldat, während der Handlung des Romans allein drei Bücher, die offenbar großen Anklang finden.
Während eines Urlaubs in Brasilien hört Jack vom Verwalter der Farm, auf der
er durch Vermittlung seines Onkels Harry zu Gast ist, eine Geschichte, die
ihm später – ohne dass der Leser dies zu dem Zeitpunkt ahnt – als Vorlage
für die eigene Handlung diesen wird. Auf der Farm gab es
Schutzgelderpressungen, denen jedoch vom Inhaber der Farm nicht nachgegeben
wurde. Es kommt zum Mord, der Vorgänger des Verwalters wird vom
Schutzgelderpresser Santos erschossen. Der neue Verwalter weiß, dass der
Gang zur Polizei zwecklos ist, und er beschließt, Santos in angeblicher
Notwehr zu töten. Er lässt das Gerücht verbreiten, er würde Santos auf der
Terrasse des Farmhauses erwarten. Dieser kommt nach einigen Tagen, wirft
eine Handgranate und schießt auf die Gestalt im Liegestuhl – aber dies ist
eine Attrappe. Der Verwalter sitzt in einem Versteck und tötet Santos. Damit
ist die Ruhe wiederhergestellt. Dass diese martialische Geschichte aus dem
Mato Grosso später zur Vorlage für Jack in den vorgeblich zivilisierteren
USA dienen wird, weiß, wie gesagt, zunächst noch niemand, doch bleiben wir
in der Reihenfolge der Geschehnisse.
Jack Dana, dessen Eltern nicht mehr leben, hat einen Onkel namens Harry, zu
dem er ein sehr gutes Verhältnis hat. Harry ist Anwalt in einer renommierten
Kanzlei in New York, er betreut seit Jahren einen steinreichen, aber
zwielichtigen Mandanten aus Texas namens Edna Brown. Dieser ist
Industrieller, in verschiedenen Branchen tätig, über eine Holding wird
dieses Firmenkonsortium kontrolliert. Zusätzlich hat Brown aber auch eine
Art Schattenimperium für verbrecherische Aktivitäten – dies deckt sein
Anwalt, Jacks Onkel Harry, auf, konfrontiert Brown damit und will ihn dazu
bewegen, sich von seinen mehr als dubiosen Aktivitäten zu lösen. Brown lacht
ihn aus und entbindet den Anwalt von seinem Mandat. In der Kanzlei lässt er
das Gerücht verbreiten, Harry, 65 Jahre alt, sei debil und nicht mehr fähig,
seinen Pflichten nachzukommen. Dies führt zu seinem Rückzug aus der Kanzlei.
Als Jack von einem längeren Brasilien-Urlaub zurückkehrt, erfährt er, dass
Harry tot ist. Er habe sich in seinem Landhaus erhängt, weil er entweder die
Schande nicht habe ertragen können, aus der Anwaltskanzlei geworfen worden
zu sein, oder weil er selber an seiner nachlassenden geistigen Kraft
verzweifelte. Ein Abschiedsbrief wird zunächst nicht gefunden, später legt
die Haushälterin Jack einen vor, den sie nicht der Polizei übergeben hat.
Darin sind geheime Botschaften und Hinweise an Jack enthalten, der die
gesamte Zeit schon nicht daran geglaubt hat, dass Harry sich selber das
Leben genommen hat. In einer Ritze zwischen den Sofapolstern entdeckt Jack
schließlich Harrys I-Phone, mit dem er seine Ermordung durch einen
Auftragskiller aufgenommen hat. Jack beschließt, diesen zu töten, er weiß,
dass der Weg zum Mörder seines Onkels über Edna Brown führt. Nach etwas Hin
und Her gelingt es Jack, einen Termin bei Brown zu bekommen. Der Empfang ist
natürlich kein freundlicher, Brown streitet jede Beteiligung an der
Ermordung Harrys ab, begeht aber den dummen Fehler, den Namen „Slobo“ zu
nennen. Es ist die Abkürzung für Slobodan, der Hörer weiß es längst, der
Name des bosnisch-serbischen Auftragsmörders.
Jack agiert die gesamte Zeit über sehr zielsicher und entschlossen. Aus
seiner Zeit als US-Marine im Afghanistan-Krieg ist er kampferfahren und,
wenn es sein muss, skrupellos. Seiner Freundin Kerry, die als junge Anwältin
mit Harry zusammen gearbeitet hatte, macht dies Angst, und Jacks Entschluss,
sich für Harrys Tod zu rächen, weckt in ihr moralische und ästhetische
Vorbehalte, wenn sie im letzten Kapitel zu Jack sagen wird: „Du riechst nach
Blut!“

Für manchen eingefleischten Thrillerfan ist die Handlung vielleicht nicht
spannend genug. Der Autor gibt viele Gespräche im Detail wieder, minutiös
wird berichtet, was Jack macht und was in welchen Restaurants gegessen wird.
Für den Fortgang der Handlung, auch der detektivischen, die Jack auf der
Suche nach der Wahrheit unternimmt, sind diese zunächst nebensächlich
erscheinenden Dinge jedoch wichtig. Nur dadurch, dass Jack in aller Ruhe mit
den Hausangestellten spricht, kommt so manches ans Licht, was die Polizei
nicht herausgefunden hat. Durch die Art, die Handlung auch durch viele
Verästelungen voranzubringen, hat die Schreibweise freilich etwas, was eher
an Agatha Christie und Dick Francis erinnert als, sagen wir, Thomas Harris,
Jeffery Deaver oder Patricia Cornwell. Aber die erst kürzlich erschienenen
Romane von Robert Galbraith (alias J. K. Rowling) um den Privatdetektiv
Cormoran Strike haben schließlich auch ein Millionenpublikum gefunden, ohne
dass verschiedene Serienmörder ihr Unwesen treiben oder verkohlte Leichen
seziert werden.
In einem Interview auf der Website des Suhrkamp Verlags, der seine Bücher
herausgibt, sagt der Autor Begley, er sei zu diesen Krimi durch die eigene
Angst vor einem Überfall oder einen Einbruch durch einen gewalttätigen
Kriminellen gekommen. Sicher ein gutes Verfahren, eigene Ängste zu bannen,
indem man sich als Helden einen jungen, tatkräftigen Mann, kampferprobt und
mutig, gleichzeitig intelligent, vorstellt, der als Stellvertreter in der
Phantasie für einen selbst eintritt. Begley ist schließlich über 80 Jahre
alt und könnte sicher selber keinen Übeltäter vertreiben. Aber trotz dieser
beschriebenen Angst wirkt der Autor eher amüsiert über sich selbst und sagt,
das Schreiben habe ihm Spaß gemacht, und er bekennt in einem anderen
Interview, er hätte schon den nächsten Krimi geschrieben. Auf den freue ich
mich auf jeden Fall; dass viele Kritiker das vorliegende Buch als misslungen
ansahen, tut dem keinen Abbruch. Dieser nächste Kriminalroman sollte dann
aber auch wieder, wie dieses Hörbuch, von Christian Brückner gelesen werden,
dessen Stimme süchtig machen kann. Egal, ob er seine Stimme einem
amerikanischen Anwalt für die gehobenen Kreise leiht, der Putzfrau oder
einem ausgemachten Fiesling, Brückner finde für jeden den richtigen Ton.
A propo Fiesling: Ein klein wenig Kritik muss doch sein. Der texanische
Industrielle Edna Brown bleibt seltsam unscharf. Klar ist, dass er viel Geld
hat, über eine hohe kriminelle Energie verfügt und wohl auch über Leichen
geht, aber was er tatsächlich macht, wie er Macht über andere Menschen
ausübt und wie sein Schattenimperium funktioniert, das versteht man nicht
wirklich. In der Beziehung gibt es genügend Autoren, die so etwas besser
können.
Insgesamt ist dies für mich eines der wenigen Hörbücher, die ich mir
mehrmals anhören kann. Dazu trägt der Vorleser bei, ganz klar, aber auch die
durch das Buch ausgelösten Überlegungen um Recht und Unrecht, Rache, Gewalt
und Gegengewalt.

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