Robert Galbraith (= J.K. Rowling): Der Ruf des Kuckucks

Hörbuch
Verlag: Random House Audio
precher: Dietmar Wunder (gekürzte Lesung)
3 CDs, 2013, Spieldauer: 960 Minuten

Bei diesem Buch handelt es sich um den zweiten Kriminalroman, den die Harry-Potter-Erfolgsautorin Joanne K. Rowling unter Pseudonym veröffentlichte. Dass sie hinter dem Namen Robert Galbraith steckt, kam durch eine Indiskretion heraus, die Autorin war darüber empört. Was war ihr Motiv, sich hinter einem Pseudonym zu verstecken? Wollte sie herausfinden, ob sie es auch ohne den bekannten Namen noch einmal schaffen könnte? Wollte sie unabhängig von ihrem Harry-Potter-Millionen-Erfolg beurteilt werden? Der Popularität des ersten Krimis (Ein plötzlicher Todesfall) hat es jedenfalls nicht geschadet, dass die Autorin identifiziert wurde, denn die Auflage von 5000 Stück wurde schnell zu eine Millionenauflage.

Jeder Rezensent steckt nun in der Falle, dass er an dem Umstand, dass die berühmte Harry-Potter-Erfinderin hinter dem Namen und den Werken von Robert Galbraith steckt, nicht vorbeikommt, und auch ich kann mich davon nicht frei machen. Steigert man die Erwartungshaltung – wer so erfolgreich mit der Harry-Potter-Serie gewesen ist, muss auch mit Büchern für Erwachsene erfolgreich sein? Oder ist es umgekehrt (so zumindest erschien es mir zuweilen, wenn ich Feuilletonartikel über die Problematik las, noch bevor ich wusste, dass ich nun selber auf stillreading.de über einen Galbraith-Roman schreiben würde) – ist es umgekehrt so, dass mit einer gewissen Häme erwartet wird, dass die Krimis nicht taugen würden – nach dem Motto „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ oder auch in der Art „die Kinderbuchautorin soll sich nicht einbilden, auch Krimis schreiben zu können“? Schwierig, wie gesagt. Jedenfalls kann niemand, der über einen Galbraith-Roman schreibt – und es sollen noch weitere folgen – so tun, als wüsste er nicht, wer die Autorin ist.

Nun aber endlich zum Hörbuch „Der Ruf des Kuckucks“: Das überaus erfolgreiche Model Lula Landry ist vom Balkon ihrer Wohnung in einem Apartmenthaus zu Tode gestürzt. Der Todesfall wird von der Polizei als Selbstmord gesehen, obwohl kein Abschiedsbrief gefunden wurde. Der Stiefbruder Lula Landrys, ein Anwalt namens John Bristow, beauftragt Wochen später den Privatdetektiv mit dem schönen Namen Cormoran Strike, den Fall zu untersuchen. Dieser will den Auftrag zunächst gar nicht annehmen, er steckt aber so sehr finanziell in der Klemme, dass er sich von Bristow breitschlagen lässt, der verspricht, das Doppelte des üblichen Honorars zu zahlen.

Cormoran Strike ist eine schillernde Figur. Sein Büro ist sicher noch schäbiger als das von Philip Marlowe, und weil er gerade mit seiner langjährigen Freundin endgültig Schluss gemacht hat, bei der er wohnte, ist er ohne Obdach und muss auf einer Campingliege in seinem Büro übernachten. Er ist unterschenkelamputiert und trägt eine Prothese, die ihm oft Schmerzen verursacht, weil sie nicht richtig angepasst ist. Er war bei einer Spezialeinheit des Militärs in Afghanistan und wurde dort bei einem Anschlag so schwer verletzt, dass sein Bein vom Knie abwärts amputiert werden musste. Seelische Verletzungen kamen hinzu, sodass er die Army verließ. Er ist intelligent, unabhängig und stolz, aber eben auch ein underdog, der die Welt der Schönen und Reichen – und darum handelt es sich beim Umfeld des erfolgreichen Models – aus einer Außenseiterperspektive sieht. Und weil er zudem noch unbestechlich ist, sowohl im wörtlichen Sinne als auch im Urteil, ist ihm die Sympathie des Lesers/Hörers gewiss. Allerdings ist er ein so penetrant aufrechter Charakter, vom Schicksal gebeutelt. dass man ihm alleine auf Dauer schlecht ertragen könnte, wäre da nicht seine Sekretärin Robin Ellacott. Sie ist neu bei ihm, von einer Zeitarbeitsfirma geschickt, und eigentlich sucht sie einen besseren Job, eine Festanstellung mit höherem Gehalt, aber sie entwickelt eine eigenartige Sympathie für Strike und findet außerdem Spaß an den Ermittlungen, sodass sie ihr Engagement mehrfach verlängert und schließlich, zumindest vorläufig in der Romanhandlung, bei Strike bleibt. So wie Watson mit seiner etwas tumben Wohlanständigkeit als „counterpart soul“ für Sherlock Holmes dient, so ist Robin mit ihrer lebenstüchtigen, praktischen und ebenfalls intelligenten Art der Gegenpol und die richtige Ergänzung für Cormoran Strike.

Die Ermittlung beginnt schleppend. Strike knüpft Kontakte zur Polizei, er kann noch einen Gefallen einfordern, um an die Ermittlungsakten zu kommen. Aber zunächst wird berichtet, wie er seinen Alltag organisiert, indem er im Studentenwerk duschen geht und Instantnudeln in seinem Büro als Abendessen zubereitet. Das Ganze wird verbunden mit Erinnerungen und Reflexionen an seine Lebensgeschichte; er ist der Sohn eines immer noch prominenten Rockmusikers, zu dem er aber keinen Kontakt hat. Seine Mutter ist verstorben, sie war ehemals ein Groupie und führte mit ihrem Sohn ein Leben in WGs und besetzten Häusern.

Solche Einzelheiten der Lebensgeschichte von Strike werden immer wieder zwischen den Phasen der Ermittlung erzählt, ebenso wie über seine gerade gescheiterte Beziehung berichtet wird. Dadurch tritt er als Person deutlicher hervor, andererseits zieht es die Handlung, also die Ermittlung des Todesfalles, in die Länge. Diese wird akribisch durchgeführt, aber auch diese zieht sich durchaus etwas. Zunächst wird das Rätsel um die Tat in allen Einzelheiten ausgebreitet, größtenteils in Form von Zeugenbefragungen. Ein Rätsel stellt das Ganze insofern dar, als hier eine Variante des „closed-room“-Mysteriums dargeboten wird: In seiner klassischen Form liegt eine Situation vor, in der z. B. eine Leiche in einem geschlossenen Raum gefunden wird, die einzige Tür ist verschlossen, das Opfer kann sie aber nicht verschlossen haben, sonst wäre der Schlüssel gefunden worden, usw. Hier ist die Tote ja vom Balkon gestürzt, also nicht in einem geschlossenen Raum gefunden worden; aber eine Zeugin will eine Männerstimme mit Lula streiten gehört haben, es hatte aber keine Person Zutritt zu dem bewachten Apartmenthaus. Außerdem behauptet die Zeugin, den Streit auf dem Balkon eine Etage über ihr gehört zu haben, aber die Fenster mit Dreifachverglasung waren geschlossen, durch sie hätten keine streitenden Stimmen gehört werden können, usw. Durch diese Elemente kann der Roman zu den klassischen Detektivgeschichten gezählt werden, der Leser wird scheinbar in die Lösung der Problematik einbezogen, indem die Autorin es so darstellt, als könne man durch Überlegung selber auf die Lösung kommen. Dies ist aber nicht wirklich so, wenn entweder eine eher unplausible Lösung aus dem Hut gezaubert wird, oder dem Leser werden Einzelheiten vorenthalten, ohne die er gar nicht auf eine Lösung hätte kommen können. Dies gilt auch für den hier besprochenen Roman. Es gehört schon viel goodwill dazu, die gebotenen Lösungen als plausibel zu akzeptieren.

Jedoch ist es so, dass man dies während des Hörens zunächst nicht merkt, man folgt dem Geschehen, will wissen, wie es weitergeht, sowohl mit der Person Cormoran Strike als auch mit dem Mordfall; denn dass es letztendlich einer war, und kein Selbstmord, liegt auf der Hand, sonst würde der Krimi keinen Sinn machen. Die Lösung des Falles ist schon verblüffend, wird aber hier natürlich nicht verraten!

Dietmar Wunder, der Sprecher dieses Hörbuchs, macht das Anhören des Hörbuchs zum wirklichen Vergnügen. Seine im Erzählton tiefe, sonore Stimme kann er so modulieren, dass der Charakter und der Gemütszustand der handelnden Personen deutlich wird. Diese Art, aus dem Vorlesen fast ein Hörspiel-Erlebnis zu machen, kann auch nervig sein, bei Dietmar Wunder nicht. Es kann allerdings auch schon einmal anstrengend sein, nämlich immer dann, wenn man als Zuhörer die gerade sprechende Person nicht mag; als würde der Vorleser dies ahnen, oder entsteht der Eindruck eben gerade durch seine Art der Lesung? Wie auch immer, er ist wirklich gut, und als eifriger Hörbuch-Konsument will ich ihn gerne in meine imaginäre Bestenliste der Sprecher aufnehmen.

Zurück zur Ausgangsfrage: Ist das (Hör-)Buch einer J.K. Rowling würdig – und: Ist es gut? Für das Buch sprechen viele Aspekte. Die Art des Erzählens, die langsame Herangehensweise, die Charakterisierung der Personen durch ihre Redeweise macht das Hörerlebnis angenehm. Der Detektiv Cormoran Strike hat durchaus das Potential zum „Serienhelden“, allerdings reicht dazu schon seine Art, die zwar eigenbrötlerisch genannt werden kann, ihn aber nie unsozial wirken lässt, sein Spürsinn und seine Intelligenz – dass sein Unterschenkel amputiert ist, ist gewiss bedauernswert, aber auf Dauer müsste sein Beinstumpf nicht ständig wehtun, dieses Leitmotiv geht auf Dauer zu weit. Ebenso wirkt sein Campieren im Büro auf der Campingliege auf Dauer doch etwas zu gewollt. Und ist die Schilderung der Lebensumstände des Supermodels Lula Landry – superschön, super-erfolgreich, doch im Grunde sozial isoliert und psychisch labil – nicht doch voller Klischees, kann man es nicht fast schon als Sozialkitsch bezeichnen? Und ist die Lösung des Falles nicht tatsächlich, nüchtern betrachtet, ein wenig an den Haaren herbeigezogen?

Wie auch immer, zu diesem durchaus gemischten Urteil wäre ich hoffentlich auch gekommen, wenn ich nicht gewusst hätte, dass J.K. Rowling die Autorin ist, die sich hinter dem Pseudonym Robert Galbraith versteckt. Ich bin jedenfalls gespannt auf weitere (Hör-)Bücher mit Cormoran Strike und seiner Assistentin Robin Ellacott.

 

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