Jonathan Holt: Marter

Quelle: Audio Media Verlag

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Hörbuch
Holt, Jonathan: Marter
Deutschland 2014, audio media Verlag
gelesen von Bettina Wagener (gekürzte Lesung)
6 CDs, 441 Minuten
Das Hörbuch startet mit einem Leichenfund auf einer Treppe vor einer Kirche in Venedig: Durch das Hochwasser, „aqua alta“, ist die Leiche angespült worden, sonst wäre sie im Meer verschwunden. Im Gewand eines katholischen Priesters steckt eine Frau, sie ist mit zwei Schüssen in den Kopf getötet worden. Als Ermittler für den Fall ist Colonnello Aldo Piola eingeteilt, assistiert durch Katerina Tapo, genannt „Kat“, eine junge Polizistin im Range eines Capitano.
Parallel zum Leichenfund und der anlaufenden Ermittlung wird eine junge Amerikanerin namens Holly Boland eingeführt. Sie arbeitet für die U.S.-Army als Vermittlerin zwischen der amerikanischen Armee und der italienischen Bevölkerung. Sie hat schon als Kind in Italien gelebt, weil ihr Vater ebenfalls bei der US-Army war und mit seiner Familie dort lebte; deshalb spricht sie fließend italienisch.
Holly erhält Besuch von Barbara Holten, der Mitarbeiterin eines Online-Magazins. Sie beantragt die Einsicht in Akten, die mit einem jugoslawischen General aus den Jahren 1993 bis 1995 zu tun haben, sowie mit Übergriffen und Gräueln gegen die Zivilbevölkerung zur selben Zeit. Als Holly der Sache nachgeht, sie ist ja völlig neu in dem Job und muss herausfinden, wo die Sachen archiviert sind und was daran geheim ist, wird sie stutzig, denn die betreffenden Akten werden gerade an einen anderen Ort verlagert, ohne dass ihr jemand Auskunft gibt, warum und weshalb.
Eine Spur führt Kat und Colonello Piola zum Hotel Europa, und wenig später wird die zweite Leiche gefunden. Es ist Barbara Holten, die Journalistin, die Holly kurz zuvor aufgesucht hat. Holten hatte das Hotelzimmer gemeinsam mit der aus dem ehemaligen Jugoslawien stammenden Frau bewohnt, deren Leiche in Priesterkleidung zuerst gefunden wurde. Beide Frauen sind mit einer amerikanischen Waffe erschossen worden, die von den special forces verwendet werden.
Holly trifft sich derweil mit Gilroy, einem alten Kollegen ihres Vaters, der auch schon bei der U.S.-Army in Italien Dienst tat. Gilroy stellt dabei Überlegungen über die Rolle der Nato bei den Jugoslawien-Kriegen der neunziger Jahre an, die Holly erschrecken: Kann es sein, dass die Nato den Jugoslawien-Konflikt absichtlich schürte, um nach dem Ende des Kalten Krieges nicht in die Bedeutungslosigkeit zu versinken?
Im Laufe der Polizeiermittlungen von Piola und Cat ist mittlerweile die dritte Leiche gefunden worden, ein Fischer, der mit Zigarettenschmuggel und der Mafia in Verbindung gebracht wird. Hat er auch Verbindungen zum Menschenhandel, speziell von Frauen aus dem ehemaligen Jugoslawien in Italien?
Eine besondere Roll scheint auch eine geheimnisvolle Website namens „Carnivia“ zu spielen, betrieben von Daniele Barbo, einem leicht autistischen Typen; diese Website bietet eine genaue Nachbildung Venedigs mit allen Kanälen, Straßen und Gassen. Rollenspieler können hier völlig anonym und sicher Nachrichten und Dateien austauschen. Zunächst gelingt es der jungen Polizistin Cat nicht, zu Barbo wirklich vorzudringen, jedoch wird er später noch eine wichtige Rolle spielen und Holly und Cat helfen.
Nun kommt noch ein Amerikaner namens Robert Findlater ins Spiel. Er hatte Jeleny Barbi und Barbara Holten damit beauftragt, nach seiner Tochter zu suchen. Findlater war amerikanischer Soldat im ersten Golfkrieg und bekam später eine Stelle bei den UNO-Schutztruppen, die in Bosnien eingesetzt wurden. Er verliebte sich, das behauptet er jedenfalls, in eine junge Frau, eine Bosnierin, und erfuhr erst viel später, dass aus der Verbindung eine Tochter hervorgegangen war. Doch stimmt dies alles? Der Fall beginnt langsam, mysteriös zu werden. Welche Rolle spielt die katholische Kirche? Was hat das US-Militär und die Nato gemacht? Hier tun sich seltsame Verbindungslinien auf. Welche Rolle spielt ein psychologischer Aufsatz zum Thema Psychose, Völkermord, Massenvergewaltigungen und Genozid dabei, hat die NATO und andere US-Organisationen den Jugoslawien-Konflikt geschürt, um selber mitmischen zu können?
Fragen über Fragen, die nicht abschließend geklärt werden. Dass die beiden jungen Frauen, die Amerikanerin Holly und die Italienerin Cat, schließlich auf der Suche nach der Tochter von Robert Findlater nach Kroatien und Bosnien fahren und dort von amerikanischen Drohnen beschossen werden, weil ein Chip im Dienstausweis von Holly geortet werden kann, das soll beweisen, dass die NATO die Finger mit im Spiel hat. Mir wurde es spätestens ab da zu viel des Guten. Weder der Schluss des (Hör-)Buchs noch die guten Absichten, also zu zeigen, wie sehr die Frauen auf der Welt unterdrückt werden, sei es als Priesterinnen, die von der katholischen Kirche verfolgt werden, bis hin zu den Vergewaltigungen im Jugoslawienkrieg und der heutigen Zwangsprostitution – das sind alles ernste Themen, aber ob man die in einem Krimi lösen kann, das halte ich für ausgeschlossen.
Insgesamt bleibt ein zwiespältiger Eindruck. Das Hörbuch ist spannend erzählt und gut geschrieben, auch wenn es zu Beginn den Hörer etwas verwirrt, wenn die Perspektive ständig zwischen Holly Boland und Cat Tapo wechselt. Aber die Themenaufstellung insgesamt ist zu viel. Und dass das Buch, wie man im Internet lesen kann, mit Dan Brown verglichen wird, oder – weil es eine Trilogie werden soll, mit Stieg Larsson – das erscheint mir zu hoch gegriffen.
Die Vorleserin dieses Hörbuchs, Bettina Wagener, macht ihre Sache meistens gut. Nur wenn sie beim Lesen von Dialogen die Stimme älterer Männer nachzuahmen versucht, klingt es etwas gewollt.
Das Fazit ist: größtenteils gut erzählt, auch spannend, mit Längen im Mittelteil – aber der Themenaufguss ist doch zu dick angerührt, weniger wäre mehr gewesen.

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