Peter Temple: Kalter August

OT: The Broken Shore, Australien 2005, D 2007, Bertelsmann

Mit diesem Thriller habe ich ein neues Krimiland entdeckt. Ich kann mich nicht erinnern, jemals vorher einen Krimi aus Down Under gelesen zu haben. Und es hat sich gelohnt. Wunderbar geschrieben, spannend und nicht abgehoben, dabei auch gesellschaftskritisch, aber nicht übertrieben.

Joe Cashin, Polizist bei der Mordkommission in Melbourne, ist nach einer schweren Verletzung zu seinen Wurzeln, in die australische Kleinstadt Port Munro an der Küste zurückgekehrt. Dort versucht er, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen und mit den Schmerzen, die ihn immer noch heimsuchen, fertigzuwerden. Das Leben geht dort noch relativ gemächlich seinen Gang, jedenfalls im Vergleich mit der Großstadt. Er schlägt sich mit den üblichen kleineren Delikten herum, wirft schon mal einen Landstreicher aus einer Scheune und überlegt in seiner Freizeit, eine Ruine wieder aufzubauen. Da wird ein reicher alter Mann, ein lokaler Wohltäter, in seiner Villa schwer zusammengeschlagen und für tot liegen gelassen. Schnell sind potentielle Schuldige gefunden, schwarze Jugendliche, die sogenannten Boongs (also Aborigines). Doch bevor sie vernommen werden können, sind sie tot.

Danach ermittelt niemand mehr in dem Fall. Hier scheint alles klar zu sein. Doch Cashin lässt nicht locker. Irgendetwas an der „einfachen“ Lösung stört ihn. Gegen den Willen seiner Vorgesetzten bohrt er weiter und sticht in ein Wespennest.

Der Thriller ließ sich ziemlich ruhig an, mehr ein Roman als ein Thriller. Doch als die Sache erst mal ins Rollen gerät, entwickelt sie sich stetig weiter und nimmt dabei immer mehr Gestalt an. Es ist super geschrieben, der Autor nimmt sich Zeit, die Figuren und ihre Beweggründe vorzustellen. Auch der Blick auf die heutige australische Gesellschaft war sehr interessant für mich. Anscheinend werden die Ureinwohner Australiens ähnlich beschissen behandelt wie die Ureinwohner und die Afroamerikaner in den USA. Auch in Australien gibt es Inkompetenz und Korruption.

Diese Einblicke in die australische Gesellschaft, dieses Weiß gegen Schwarz, Arm gegen Reich, war mir neu. Das bisschen, was ich über Australien weiß, stammt eher aus Familienserien wie „Die fliegenden Ärzte“ oder dem einen oder anderen Film, in dem die Ureinwohner immer auf eine gewisse Folklore reduziert wurden. Dieses Buch verschließt die Augen nicht vor der Gegenwart, ist dabei aber keinesfalls belehrend oder gutmenschelnd, sondern ein sehr spannender Thriller mit einer guten Geschichte. Joe Cashin ist ein Held, mit dem man schnell warm wird.

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